Warum ich mit besorgten Bürgern befreundet bleibe

In meinem Bekanntenkreis finden sich Leute, die offen fremdenfeindliche Standpunkte vertreten. Keine Dummköpfe, eigentlich. Dennoch lästern sie über Flüchtlinge, beschimpfen sie als Sozialschmarotzer, liken abfällige Beiträge des Dresdner Pegida-Chefs Lutz Bachmann, lamentieren über die unfähigen Politiker, die „das alles“ initiieren oder mitmachen oder finanzieren, aus unseren Steuern, in unserem Land. Wo es hier doch auch Hilfsbedürftige gibt. Ihre Zeilen im Internet senden Empörung, Radikalität, Aggression: „Das darf doch alles gar nicht…, merkt hier denn endlich mal einer…, armes Deutschland.“

 

Ein bisschen fühlt es sich an, als ob im Freundeskreis jemand plötzlich lebensgefährlich krank würde...

Ich hoffe ja, dass solch ein Schicksal mir selbst erspart bleibt und empfinde Hiobsbotschaften aus meinem Umfeld wie näherkommende Einschläge. So ist es auch derzeit: Alarm und Sorge – nur diesmal eben nicht Krebs oder Herzinfarkt, sondern Pegida- und AfD-Diskurs hautnah, quasi zum Anfassen.

 

Fremdenfeindlichkeit tickt offenbar mitten in der Gesellschaft und eben nicht allein bei den sozial Schwachen, Ungebildeten, Einfachen. Es geht fehl, all dies mit hämischem Fingerzeig auf Rechtschreibfehler in den Pegida-Postings abzutun als Unterschichten-Phänomen. Auch gebildete, beruflich und sozial erfolgreiche Menschen krakeelen mit jenen, die montags, vornehmlich in Sachsen, auf die Straße ziehen.

 

Dass Einfachdenker anfällig sind für einfach wirkende Lösungsformeln, mag für sich plausibel klingen. Da aber auch Designer, Studienräte, Chemiker, Unternehmer und PR-Profis mitsingen im Chor der Fremdenfeindlichkeit, müssen wir wohl anderen Ursachen nachspüren. Pegida und AfD als Bewegung erfolgloser Einfaltspinsel abzustempeln? Zu einfach.

 

Vergesst den Inhalt

 

Was dann? Was treibt diese Menschen? Es könnte helfen, diese Frage von der Kommunikation her aufzudröseln, schließlich befriedigt das, was sie so wenig sachlich, so herzlos, so auf ersten Blick unreflektiert äußern, ja irgendein Bedürfnis in ihnen. Und mit Bedürfnissen verbunden sind – nach gängigen Vorstellungen aus der Psychologie – gewisse Gefühle.

 

Beurteilen wir das, was gesagt wird, also mal nicht nach Sachlichkeit und Logik. Hier wären wir ohnehin rasch mit unserem Latein am Ende. Vieles im Diskurs der Fremdenfeindlichkeit ist widerlegbar, eben nicht zu verallgemeinern oder von vornherein erlogen. Es wird zwar irgendwie argumentiert, aber nicht in erster Linie um logisch zu sein, sondern um etwas loszuwerden. (Dafür taugen auch Halbwahrheiten.) Dieses zwischen den Zeilen losgewordene Etwas steckt andere an, indem es ähnliche Etwasse in ihnen anspricht. Lust auf eine einfache Formel? Gern: Vergesst den kommunizierten Inhalt, kümmert Euch um die kommunizierten Bedürfnisse und Gefühle!

 

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wer sagt, dass er sich zur Not auch Schüsse auf Flüchtlinge wünscht, dem dürfen wir das natürlich nicht durchgehen lassen. Aber wir sollten es auch nicht bei Protest und der Härte des Gesetzes belassen, weil wir dann das Phänomen nicht tief genug verstehen. Was gibt es den Islamverteuflern, Systemverdrossenen und Flüchtlingsbeschimpfern, wenn sie zusammenrücken und gegen ihre Feindbilder anskandieren und anposten?

 

Innen sauer, außen fremdenfeindlich

 

Psychogramme am grünen Tisch sind sicher heikel. Ich spekuliere dennoch mal so fundiert es mir möglich ist, um Futter für Debatten zu liefern: Es stecken vermutlich eine Reihe starker Gefühle in all der Selbststilisierung als angeblich volksweite Widerstandsbewegung, der montäglichen Kameradschaftseuphorie, dem Merkel-weg-haben-Wollen, dem Aufstand-losbrechen- und Besorgte-Bürger-zum-Umsturz-aufwiegeln-Wollen, dem Windmühlenkampf gegen einen düster wabernden Komplex aus "dem System", obskuren Mächten und Lügenpresse.

 

Was für Gefühle und Triebfedern könnten das sein? Einsamkeit, Neid, Politikverdrossenheit, Unzufriedenheit mit der eigenen Lebensbilanz, das Bedürfnis nach Erfolg und Wertschätzung, die Sehnsucht nach Liebe, der Wunsch nach Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit, speziell im Osten die Erneuerung der längst aufgezehrten Mauerfall-Euphorie, und und und. Wer an diese Wurzeln will, muss ernsthaft nach ihnen suchen und darf sich nicht ablenken lassen durch die anstößige Art, wie sie sich nach außen zeigen.

 

Zu allem Übel sind die innere Befindlichkeit und die Kanäle, über die sie sich im Außen etwa als Fremdenfeindlichkeit zeigt, nicht unbedingt offen logisch miteinander verbunden. Machen wir’s mal platt aber eingängig: Jemand ärgert sich regelmäßig übers Finanzamt und beschwert sich zugleich empfindlich über die Kosten für die Flüchtlingsversorgung. Zwar hätte er ohne die Flüchtlinge keinen Cent zusätzlich auf dem Konto, aber mit den Flüchtlingen hat er wenigstens jemanden, dem er‘s irgendwie anlasten kann – Hasskommentare im Internet als Akt der Psycho-Hygiene, der ihn davor bewahrt, den Grund für die Unzufriedenheit etwa im eigenen Wirtschaften suchen zu müssen. Weil man sich also selbst nicht beschuldigen will und gegen das übermächtige Finanzamt nichts zu bewirken können glaubt, sucht man sich einen anderen Sündenbock zum Abreagieren.

 

Ausmerzen oder aushalten?

 

Politisch gefährlich wird solcherlei Ersatzbefriedigung, wenn sie Mehrheiten erzeugt. Dann wächst die Gefahr von schwer kontrollierbaren Massenphänomenen und Pogromen. Brennende Asylunterkünfte sind von brennenden Synagogen nicht weit weg. Die Juden sind an allem schuld, hieß es im Dritten Reich – alle Muslime sind suspekt, scheint heute ein mehrheitsfähiger Standpunkt. Die Stimmung auf der Straße ist ein explosives Gemisch aus wolkiger Unzufriedenheit, sozialen Problemen, dem Wunsch nach Größe, dem einigenden Reiz von Feindbildern und Schuldigen, einer Neigung zu Verschwörungstheorien und einfachen Lösungen. Wer es versteht, daran herumzuzündeln, hat die Macht, die Verhältnisse aus den Fundamenten zu heben. Auch die Nazis sind einmal gewählt worden.

 

Angesichts dieser Fallhöhe reizt es, das Eigentliche hinter dem Kommunizierten zu suchen. Dies allerdings wäre eine Aufgabe für ein Heer von Profilern, die sämtlichen Hasspostern hinterher zu recherchieren hätten, um dann auf einen Wust individueller, psychologischer Beweggründe dafür zu stoßen. Wer wollte sich anschließend all diesen Menschen widmen, um sie von ihrer Ersatzaggression abzubringen? Wer wollte mit ihnen, nach klassischer Coaching-Manier, Wege ermitteln, ihre Sehnsüchte und Bedürfnisse anders zu befriedigen als mit Pöbeleien gegen Fremde? Kein Staat, kein Politiker, keine Organisation kann dies in solcher Tiefe leisten.

 

Wenn das Übel sich also nicht wirklich an der Wurzel packen lässt, was dann? Die ökonomische Lösung besteht wohl darin, gerade das Nötigste zu tun, was eine rechtspopulistische Strömung in Schach hält. Der Standardsatz dazu lautet: Eine gesunde Demokratie muss das aushalten.

 

Auf zur Ochsentour!

 

Das allerdings ist ein Spiel mit dem Feuer. Sind 20 Parlamentsprozente AfD und einige Tausend Pegida-Marschierer noch gut auszuhalten? Vielleicht werden sie ja erst salonfähig, dann parlamentsfähig und schließlich regierungsfähig? Auch in anderen europäischen Ländern sind Rechtspopulisten am Ruder, wieso sollte ausgerechnet unser Kanzleramt vor ihnen sicher sein?

 

Es gibt nur eine einzige Sicherheit – und das sind wir! Eine Mehrheit von aufgeklärten, besonnenen, glühenden Demokraten und Menschenfreunden muss diesen deutschen Staat verteidigen. Bei allen Unzulänglichkeiten ist er der beste, den es je gab. Und genauso, wie etwa Facebook es den Pöblern und Einfaltspinseln erleichtert, einander zu finden, ihnen Stimme gibt und wechselseitige Selbstbestätigung, genauso können wir über die sozialen Medien intervenieren. Es ist eine Ochsentour, aber sie könnte sich lohnen.

 

Ich habe deshalb beschlossen, mich nicht zu entfreunden, wenn jemand aus meinem Bekanntenkreis in die Nähe der Rechtspopulisten abdriftet. Aber ich stelle mich ihm entgegen, mit Kommentaren und beharrlichen Fragen. Dabei bemühe ich mich um Mäßigung, auch wenn ich empört bin; um Deeskalation, auch wenn mir der Kamm schwillt; um Wertschätzung, selbst wenn mir zum Spotten ist. Ich tue dies nicht nur bei Freunden und Bekannten, sondern wo immer ich bei Pegida- und AfD-Sympathisanten einen Ansatzpunkt finde.

 

Gesellschaftlich gut unter Druck

 

Ich verspreche mir davon bestenfalls die Chance auf Besinnung, Nachdenken, Einsicht. Bislang habe ich damit gute Erfahrungen gemacht: Debatten wurden zumindest im Ton sachlicher, und im Stil menschlicher. Ich habe Pegida-Fans dabei gewiss nicht bekehrt, wohl aber beruhigt, mitunter schlicht zum Schweigen gebracht. Vielleicht haben sie einfach nur die Lust am Schimpfen verloren, weil es keinen Spaß macht, über jemanden herzuziehen, der nicht zurückpöbelt. Vielleicht haben sie sich auch schlicht nicht mehr getraut, so wie man sich in einer kritischen Öffentlichkeit eben besser benimmt als im Entre-nous.

 

Wir sollten unsere Augen also auf sie gerichtet halten: Sie sollen sich möglichst nicht trauen, ihren Unflat zu verbreiten. Sie sollen sich einander nur heimlich zu erkennen geben, weil sie Nachteile und gesellschaftliche Ächtung fürchten. Kurz: Sie sollen ein Grüppchen sein, das unsere Demokratie aushalten kann.

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Kommentare: 1
  • #1

    Lisa.Be (Dienstag, 22 März 2016 23:55)

    Lieber Volker, in vielem stimme ich hier mit dir überein. Auch ich werde mich nicht entfreunden. Auch ich bemühe mich gemäßigt, freundlich und ohne Pöbeleien mit anders denkenden ins Gespräch zu kommen. "Anders denkende", das sind in meinem Fall alle Menschen, die in die eine oder andere Richtung radikal sind und solche, die sich menschen- und/oder fremdenfeindlich äußern. Anders als Du will och sie aber nicht unter Druck setzen oder in die Heimlichkeit zwingen, denn auch sie haben das recht anders zu denken. Ich möchte aber all diejenigen wach rütteln und aktivieren, die so denken wie du und ich. Das ist vermutlich und hoffentlich die Mehrheit und wenn diese Mehrheit aktiv bleibt bzw wird, dann erwarte ich nur von den "anders denkenden", dass sie diese Mehrheitsbekundungen annehmen und akzeptieren. Sie dürfen gern als Einzelperson ihre Überzeugung leben, aber nur so lange sie nicht beginnen als Minderheit anderen diese Sichtweise vorzuschreiben.

    Lasst sie denken wie und was sie wollen, macht ihnen nur sichtbar, dass es mehr Menschen (also eine Mehrheit) gibt, die eine andere Sicht auf die Dinge haben!